Zu Besuch im Steglitzer Blinden-Museum
Das Deutsche Blinden-Museum wurde bereits 1890 von Karl Wulff an der „Königlichen Blindenanstalt zu Steglitz“ gegründet. Es gilt als ältestes noch immer existierendes Museum in Steglitz. Das Museum selbst ist in der Rothenburgstraße 14 zu finden – nur fünf Minuten zu Fuß vom Schlosspark-Theater entfernt. Im zweiten Stock bekommt der Besucher auf etwa einhundert Quadratmetern Ausstellungsfläche einen Eindruck davon vermittelt, …
… wie Blinde in den letzten zwei Jahrhunderten versucht haben, über eine eigene Schrift weiterhin am gesellschaftlichen Leben teilzunehmen. Die sehenswerten Exponate stellen nicht nur die berühmte Blindenschrift vor, die Louis Braille entwickelt hat, sondern zeigen auch Schreibmaschinen für Blinde, entsprechend für Nichtsehende optimierte Gesellschaftsspiele und die komplette Harry Potter Saga in Braille-Schrift. An vielen Stationen können die Besucher selbst in die Rolle eines Blinden schlüpfen und die Sensitivität der eigenen Fingerkuppen auf den Prüfstand stellen.
Das Museum würde sehr gern im gleichen Haus in das Parterre umziehen, um sich zu vergrößern. Das entsprechende Geld würde u.a. von der Lotto-Stiftung kommen. Diese knüpft allerdings Bedingungen an das Geld, die zurzeit noch nicht erfüllt werden können – der Förderverein des Museums ringt hier mit dem Bezirk um einen langfristigen Nutzungsvertrag. Eile ist in dieser Angelegenheit allerdings geboten, weil die bereits erteilte Baugenehmigung noch in diesem Jahr erlischt.
Angesichts der Tatsache, dass es im Bezirk Steglitz-Zehlendorf immer weniger Museen gibt, wäre es schade, wenn das Blinden-Museum seine Chance auf eine barrierefreie Erreichbarkeit aufgeben müsste.
In einer ruhigen Querstraße zur Schlossstraße ist das Deutsche Blinden-Museum zu finden. Um es zu betreten, muss der Besucher um einen roten Backsteinbau herumlaufen, einen Hintereingang betreten und zwei Stockwerke über knarzende Treppen nach oben steigen. Kurzum: Das Museum ist auch für einen Sehenden nicht eben leicht zu finden.
Aber der Besuch lohnt sich: Das Blinden-Museum ist ein sehr lebendiges und interaktives Museum, das auf sehr empathische und schlaue Weise zeigt, wie sich die Welt anfühlt, in der die Blinden ihr ganzes Leben über Zuhause sind.
Das Museum selbst hat an jedem Mittwoch von 15 bis 18 Uhr geöffnet. Eine offene Führung gibt es außerdem an jedem ersten Sonntag im Monat um 11 Uhr – eine Anmeldung ist dafür nicht erforderlich.
Jürgen Lubnau (76), der zum Vorstand des Fördervereins gehört: „Auch außerhalb dieser Zeiten führen wir gern Gruppen bis zu zehn Personen durch unsere im März 2010 installierte Dauerausstellung ‚Sechs Richtige – Louis Braille und die Blindenschrift‘. Oft sind Schulklassen, Senioren und Ausbildungsbetriebe bei uns zu Gast. Der Eintritt ist frei, wir bitten um eine kleine Spende.“
Die Ausstellung, die auf mehrere Räume verteilt ist, stellt zunächst die verschiedenen Ideen der vergangenen Jahrhunderte vor, Blinde an der Schrift teilhaben zu lassen. Da gab es zunächst die Idee, die normalen Buchstaben erhaben darzustellen oder sie mit Draht nachzulegen. Den Durchbruch erzielte der Franzose Louis Braille, der 1825 seine Brailleschrift entwickelte, die seitdem weltweit genutzt wird. Jeder Buchstabe, jede Zahl und jedes Satzzeichen lassen sich hier mit einem Muster bezeichnen, das aus maximal sechs Punkten besteht.
Blinde und stark Sehbehinderte entwickeln eine solche Sensitivität in den Fingerkuppen, dass sie diesen Braille-Code erspüren und im Kopf dekodieren können. Die Besucher im Museum können passend dazu ein riesiges Braille-Alphabet an der Wand ertasten. Sie können aber auch gern das zigbändige Komplettwerk von Harry Potter in Braille-Schrift aufschlagen und selbst versuchen, die Abenteuer des jungen Zauberers in der magischen Schule Hogwarts nur mit den Fingern zu lesen.
Die Ausstellung stellt viele Schreibwerkzeuge vor, mit deren Hilfe es in den letzten Jahrzehnten gelungen ist, Braille-Schrift zu erstellen. Sie lässt sich mit einer passenden Metallschablone und einem Piekser in ein eingespanntes Blatt Papier klöppeln. Es gibt aber auch spezielle Schreibmaschinen und viele andere mechanische Apparaturen, um die Kommunikation zwischen Blinden und Sehenden zu erleichtern.
Jürgen Lubnau: „Wir haben bei uns im Museum einen Stenograf, der es einer blinden Stenografin ermöglichte, Gesprächsprotokolle in Braille-Schrift auf einen langen Papierstreifen zu tippen. Der musste von ihr dann anschließend wieder ausgelesen und an der Schreibmaschine in Normalschrift übertragen werden.“
Es macht sehr viel Spaß, das Blinden-Museum zu erkunden. Insbesondere die vielen Möglichkeiten, sich selbst in die Welt der Blinden hineinzuversetzen, wissen zu begeistern. So können sich die Besucher eine verdunkelte Brille aufsetzen und versuchen, zusammen eine Partie „Mensch Ärgere Dich Nicht“ zu spielen. Kann man die gewürfelten Augen auf dem Würfel ertasten? Findet man die eigenen Spielfiguren auf dem Brett wieder, obwohl sie sich nur in kleinen fühlbaren Details voneinander unterscheiden? Kann man ohne Sicht auf das Brett den Überblick über die aktuelle Spielsituation behalten?
Oft sind es Kleinigkeiten, die aufzeigen, dass auch im Alltag an die Blinden gedacht wurde. So sind alle deutschen Münzen am Rand mit unterschiedlichen Riffelungen ausgestattet, damit es auch im Alltag leicht fällt, ein 50-Cent- und ein 1-Euro-Stück voneinander zu unterscheiden. Darum sind auch unsere Geldscheine unterschiedlich lang, während sie etwa in den USA alle die gleiche Größe aufweisen.
Die Ausstellung bietet auch einen Eindruck davon, wie Blinde im Dritten Reich zur Zeit der Nazis behandelt und auch unterrichtet wurden. Jürgen Lubnau: „Wir zeigen bei uns im Museum noch sogenannte Rasseköpfe. Hier konnten die Blinden die Rassemerkmale der Arier und anderer Völker an Modellköpfen ertasten.“
Der Blick geht aber auch in die Moderne. Jürgen Lubnau zeigt kleine Geräte für die Hosentasche, die einem Blinden sagen, welche Farbe seine Kleidungsstücke haben oder ob in einem Raum das Licht eingeschaltet ist: „Die Erfindung des Smartphones mit seinen zahllosen Orientierungshilfen war für uns Blinde ebenfalls ein echter Meilenstein.“
Barrierefreie Erweiterung geplant
Gern würde das Blinden-Museum vom 2. Stock ins Erdgeschoss umziehen. Dort hätte man dann noch mehr Platz, um weitere Exponate zu zeigen.
Jürgen Lubnau, der im Krieg mit knapp vier Jahren nach einem Anfall von Gelenkrheuma plötzlich erblindet ist: „Wir würden gern eine blindengerechte Ampel aufstellen, die unsere Besucher ausprobieren könnten. Und wir würden gern zeigen, wie Blinde sportlich aktiv sind. Ich habe mit Hilfe eines Begleitläufers viele Marathons auf der ganzen Welt bestritten.“
Ein parterre gelegenes Museum wäre außerdem barrierefrei zu erreichen. Jürgen Lubnau: „Seit 2012 planen wir den Umbau, für den wir das Museum etwa ein halbes Jahr lang schließen müssten. Die Stiftung Deutsche Klassenlotterie hat uns 2014 hierfür eine hohe Summe an Fördergeld genehmigt, es geht um 370.000 Euro. Eine Baugenehmigung liegt vor. Die Stiftung knüpft das Geld allerdings an die Bedingung, dass wir eine 25-jährige Nutzungsvereinbarung mit dem Bezirksamt vorweisen können. Diese fehlt uns noch immer, wir arbeiten inzwischen an der 6. Version des Papiers. Die Stadt argumentiert, dass das Museum zu selten geöffnet hat. Wir arbeiten aber mit unseren Ehrenamtlichen anders und setzen viel lieber auf gezielte Führungen. 2017 haben wir so 2.275 Besucher in unserem Museum gezählt. Wir brauchen hier schnell eine Einigung, weil ansonsten die bereits erteilte Baugenehmigung noch in diesem Jahr im April erlischt.“
Und nicht nur das: Die Umbaumaßnahmen würden aufgrund der gestiegenen Baupreise inzwischen 410.000 Euro verschlingen. Jürgen Lubnau: „Hier habe ich zum Glück eine zweite Stiftung gefunden, die uns mit den fehlenden Geldern unterstützen würde.“ (Text/Fotos: CS)
Info: Deutsches Blinden-Museum, Rothenburgstraße 14, 12165 Berlin, Tel.: 030-79709-094, www.blindenmuseum-berlin.de
Dieser Artikel wurde in „ZEHLENDORF.aktuell“ Ausgabe 58 (1/2019) veröffentlicht.
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