Der Doktor‘s Slam im Charité-Campus Benjamin Franklin
Der Arzt ist meist das unbekannte Wesen auf der anderen Seite des Stethoskops oder der Injektionsnadel. Er untersucht, diagnostiziert, praktiziert und verordnet. Als Patient schaut man aber nur selten hinter die Kulissen und lernt, was eigentlich alles zum Fachgebiet oder zum Aufgabenbereich eines bestimmten Arztes gehört.
Dabei kann es so spannend sein, sich mit dem menschlichen Gehirn, dem Auge, den Organen oder mit bestimmten Knochen zu beschäftigen.
Als Maßnahme gegen medizinisches Fachchinesisch und eine Götterdämmerung in Weiß gab es in diesem Jahr passend zum erneut ausgerufenen Life Science Day und zum 50-jährigen Jubiläum des Charité-Campus Benjamin Franklin in Lichterfelde einen Doctor‘s Slam. Bei diesem speziellen Wettbewerb treten Ärzte gegeneinander an. Sie sollen, so ist die Aufgabe, ihr Fachgebiet unterhaltsam in nur acht Minuten vorstellen – und zwar einer medizinisch unbeleckten Zuhörerschaft, die auf diese Weise hinter die Kulissen blickt und anschließend mit mehr Verständnis für die Medizin nach Hause geht. Der Doctor‘s Slam wurde am 29. September im Hörsaal West veranstaltet. Der war in der Tat fast bis auf den letzten Platz besetzt.
Gut gemacht: Der deutsche Science-Slam-Vizemeister von 2017 – Simon Hauser – hatte alle Ärzte in mühevoller Anleitung auf den Wettbewerb vorbereitet. Auch, wenn sich die Doktoren gern mit plötzlichen Sonderterminen („Muss noch rasch ein Leben retten“) aus der Vorbereitung herausstehlen wollten, so hat es Simon Hauser doch geschafft, den Ärzten die wesentliche Bedingung für einen erfolgreichen Slam mit auf den Weg zu geben: Das Publikum zu begeistern.
Denn am Ende entschied das Publikum in drei Blöcken, welcher Arzt denn wohl den packendsten Vortrag gehalten hatte. Der Sieger wurde per Applaus ermittelt. Klarer Fall: Wer das Publikum auf besonders unterhaltsame, spannende und lehrreiche Art und Weise packen konnte, der verdiente sich auch den meisten Applaus. Die Veranstaltung, die von 9:30 bis 16 Uhr andauerte und im Übrigen kostenfrei war, hatte man in drei Themenblöcke unterteilt, die Titel wie „Hier ist oben“, „Von oben nach unten“ und „ … und jetzt quer Beet“ trugen. Insgesamt wagten sich 18 Direktoren, Oberärzte und Ärzte ans Mikrofon.
Raiko Thal vom rbb, der dort eine medizinische Sendung moderiert, kümmerte sich auf dem Doctor‘s Slam um die Moderation, während Simon Hauser „seine“ Ärzte vorstellte und nach jedem Block vor der Applaus-Messung noch einmal eine kurze und höchst amüsante Zusammenfassung eines jeden Vortrags präsentierte.
Wichtig: Der Doctor‘s Slam zum Life Science Day (www.lifescienceday.de) wurde vom Charité-Universitätsmedizin Berlin Campus Benjamin Franklin zusammen mit dem Regionalmanagement Berlin SÜDWEST in Kooperation mit der Freien Universität Berlin veranstaltet.
Zahnextraktionen, ins Ohr geschaut, Augen-Operationen und Luftballons als Nervenstränge
Marion Schellenberg, Bezirksstadträtin für die Abteilung Immobilien, Umwelt und Tiefbau, vertrat zur Eröffnung des Wettbewerbs die verhinderte Bezirksbürgermeisterin: „Für mich ist der Campus Benjamin Franklin immer noch das Klinikum Steglitz. Über 100 Millionen Euro werden an diesem Standort investiert.
Der Life Science Day, den wir heute begehen, ist bereits der achte seiner Art. Einen Slam hatten wir aber noch nie. Das ist eine tolle Form einer Gesundheitsveranstaltung. Meiner Information nach gab es einen solchen Doctor‘s Slam in Berlin bislang noch nie. Der alte Hörsaal von 1968 ist ein angemessener Rahmen dafür. Übrigens: Die Initiative für den Slam ging von den Ärzten selbst aus.“
Simon Hauser stimmte das Publikum sehr gut ein: „Ärzte versuchen, verständlich und amüsant über ihre Arbeit zu berichten. Das ist eine Aufgabe, die vom Schwierigkeitsgrad her in etwa der Mondlandung entspricht. Ein Arzt ist uns auch heute schon wieder abhanden gekommen – er wurde mit dem Hubschrauber zu einem Notfall geflogen.“
Haubers Hoffnung, „dass wir wohl keinen Splatter-Vortrag zu sehen bekommen“, erfüllte sich nicht ganz. Blutige Wunden waren fester Bestandteil der visuellen Darstellung vieler Vorträge. Wer den Ärzten zuhören und auch zuschauen wollte, musste durchaus gute Nerven haben.
Professor Oliver Zeitz zeigte in seinem Augen-Vortrag zum Thema „Ich hab die Makula“ etwa das Video einer Augenoperation in allen Einzelheiten. Hier ging es darum, ein das Sehen beeinträchtigendes Häutchen direkt von der Makula, der Stelle des schärfsten Sehens, abzutragen. Dies gelingt durch das Einsetzen von feinen Röhrchen in den Glaskörper des Auges, durch die dann endoskopische Instrumente ins Innere des Auges eingeführt werden können.
Professor Max Heiland nutzte anschließend seinen Vortrag über die Mund-Kiefer-Gesichtschirurgie, um einen Film zu zeigen, der einen russischen Kollegen präsentierte, der sich selbst einen Weisheitszahn zieht. Er berichtete auch über notwendige Gesichtsoperationen bei den Opfern von Schlägereien in der Notaufnahme – und zeigte, wie Jochbeine wieder in Position gebracht werden: „In all den Jahren in der Notaufnahme habe ich noch nie einen Patienten kennengelernt, der berichtet, dass er die Schlägerei angefangen hat.“
Veit Hoffmann und Annett Pudszuhn baten gar eine Patienten auf die Bühne, um ihr zum Thema „Hals-Nasen-Ohren“ ein Endoskop in Ohr und Nase zu stecken. So konnten die Zuschauer das Trommelfell live beim Schlucken beobachten und im Nasenraum nachspüren, wo der Tränenkanal einmündet. Veit Hoffmann: „Wir raten dazu: Reinigen Sie sich nicht selbst die Ohren. Wir haben immer wieder den Fall, dass sich Patienten mit einem Wattestäbchen das Trommelfell durchstechen.“ Natürlich waren auch diese Bilder zu sehen.
Ulf Christoph Schneider aus der Neurochirurgie referierte über Rückenschmerzen und sprach in diesem Zusammenhang von einem Volksleiden mit 75 Millionen Krankheitstagen im Jahr („Mehr als Grippe!“) und darauf basierend 15 Milliarden Euro volkswirtschaftlichem Schaden. Er berichtete von einer Verengung des Wirbelkanals bei vielen Patienten und der operativen Behebung der „lumbalen Spinalkanalstenose“ durch das Bohren eines Lochs in den Knochen. Immerhin mutete dieser Vortragende seinen Zuhörern keine Videos aus dem OP zu, sondern veranschaulichte den Fakt lieber Zuhörer-kompatibel mit einer Handvoll langer bunter Luftballons (als Nervenstränge) in der einen und einer Bohrmaschine in der anderen Hand. Ulf Schneider: „Wann sollte man zum Neurochirurg gehen? Wenn der Physiotherapeut bereits zur Familie gehört und man von seinen Schmerztabletten bereits vor dem Frühstück satt wird.“
In weiteren Vorträgen ging es um schizophrene Schübe, die minimalinvasive Herzklappen-Operation oder um die gezielte Strahlentherapie bei Krebskranken. Als Zuschauer lernte man so viel, dass einem am Ende glatt der Kopf schwirrte. Mehr davon! Der Doctor‘s Slam sollte einmal im Jahr stattfinden. Es wäre ein Gewinn für alle Zuhörer. (Text/Fotos: CS)
Dieser Artikel wurde in „ZEHLENDORF.aktuell“ Ausgabe 55 (10/2018) veröffentlicht.
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