Zehlendorf-Mitte: Musik-Oehme zieht aus
Steglitz-Zehlendorf gilt als Bildungsbezirk in Berlin. Hier legen die Familien noch Wert darauf, dass der Nachwuchs den literarischen Kanon verinnerlicht hat und bei der Familienhausmusik mitmacht. Ganz egal, ob Blockflöte, Saxofon oder Gitarre – die benötigten Instrumente für den musikalischen Zehlendorfer gab es seit 1951 im Fachgeschäft Musik-Oehme in der Onkel-Tom-Straße. (ANZEIGE)
Vor Ort wurde man fachkundig beraten, konnte seine Instrumente zur Reparatur bringen, Zubehör einkaufen und für den Anfang einer musischen Karriere das eine oder andere Instrument zunächst auch nur ausleihen.
So ein Fachgeschäft mit Tradition, das muss doch für die Ewigkeit halten, oder? Umso erschreckender war die Meldung, die im Juli die Runde machte: „Verehrte Kunden! Leider müssen wir unser Geschäft an dieser Stelle schließen. (…) Generationen von Musikinteressierten kennen dieses Geschäft, fast schon eine Institution in Zehlendorf. Aufgrund der allgemein bekannten wirtschaftlichen Probleme des stationären Einzelhandels durch Internetanbieter, Personalmangel und eine unüberwindbare Mietproblematik mit dem Vermieter dieser Immobilie sehen wir uns zu diesem Schritt, der uns wahrlich nicht leicht fällt, gezwungen.“
Diese Zeilen schrieb Geschäftsführer Andreas Horn in einem Flyer, der auch in den sozialen Netzwerken viel beachtet und kommentiert wurde. So auch auf der Facebook-Seite von Zehlendorf aktuell:
Claudia Roszka: „Gibt’s doch gar nicht. Eine Institution seit meiner Kindheit. Wie schade.“
Evelyn Benckert: „Und wenn dann alle kleinen Geschäfte, die Zehlendorf dörflich und gemütlich gemacht haben, verschwunden sind, wird man feststellen, dass man Handys nicht essen kann, denn nur noch die Telefonanbieter & Co können sich dann die Mieten leisten.“
Julia Ziemke: „Oh nein. Da hab ich als Schülerin immer meine Klaviernoten gekauft! Und meine erste Gitarre war auch von da! Die hab ich heute noch.“
Roland Dreyer: „Leider ist es so, dass die Leute alles im Internet bestellen und sich dann wundern, dass solche Traditionsgeschäfte eingehen.“
Wir haben die Gelegenheit genutzt, um mit Andreas Horn ins Gespräch zu kommen.
Wie kamen Sie zu Musik-Oehme, das es ja bereits seit 1951 am Standort in Zehlendorf gibt?
Andreas Horn: „Das Geschäft wurde bereits 1931 von Walter Oehme gegründet. Er war Akkordeonlehrer beim Kronprinzen des letzten Kaisers, darüber hinaus Komponist und Autor verschiedener Lehrwerke fürs Akkordeon, die heute noch erhältlich sind. Und er handelte unter anderem mit Akkordeons – Anfang der 30er Jahre in der Müllerstrasse im Wedding und in der Strasse Am Kanal in Potsdam. Nach dem Krieg startete er in Zehlendorf mit einem kleinen Geschäft in der Potsdamer Strasse, wo sich heute die Deutsche Bank Arkaden befinden. 1951 fand dann der Umzug in die Onkel-Tom-Strasse statt. Meine Mutter hat in dem Laden ihr erstes Instrument gekauft und war von da an begeisterte Kundin, sodass ihr eine Ausbildungsstelle angeboten wurde, die sie dankbar annahm. Nahezu ohne Unterbrechung hat sie ihr ganzes Leben in dem Laden verbracht. Als Walter Oehme 1977 starb, bot die Witwe meiner Mutter das Geschäft an, das sie fortan bis 2013 geführt hat. Dann hat sie es an mich übergeben. Ich selber bin seit 1989 mit dabei, nachdem ich meine Ausbildung bei den Kollegen von Bote & Bock in der Charlottenburger Hardenbergstrasse erfolgreich absolvieren und dort noch einige Jahre Berufserfahrung sammeln konnte.“
Was bot Musik-Oehme seinen Kunden in den letzten Jahrzehnten alles an Dienstleistungen an?
Horn: „Wir bieten alles zum Musikmachen. Ob Instrumente, Zubehör, Noten, CDs oder Software. Wer sich erstmal ausprobieren möchte, kann ein Instrument auch ausleihen. Und unsere Fachwerkstatt bietet mit unserem Instrumentenbauer einen qualifizierten Service. Darüber hinaus arbeiten wir mit vielen Institutionen zusammen, liefern und/oder reparieren Instrumente, oder sorgen dort für das richtige Licht und den richtigen Sound.“
Wann und warum haben Sie die Filiale in Potsdam aufgemacht?
Horn: „Die Potsdamer Filiale wurde 2005 als Kooperationsprojekt mit der Musikschule Bertheau und Morgenstern ins Leben gerufen. Als die Räume dort zu klein wurden, sind wir 2010 in die Lindenstrasse umgezogen, seit 2016 sind wir mit einem wunderschönen, großen Geschäft in unmittelbarer Nähe der Städtischen Musikschule Potsdam in der Jägerstrasse zu finden. In der Strasse gibt es darüber hinaus ein Klavierfachgeschäft, einen Geigenbauer und einen Spezialisten für historische Streichinstrumente.“
Wie steht es um die Musikalität der Zehlendorfer?
Horn: „Das ist schwierig zu sagen, da die Nachfrage stetig nachlässt. Ältere Generationen sind im Ruhestand, die Jüngeren spielen weniger Instrumente, sie sind eher technikaffin. Es wird traditionell immer noch Musik gemacht, viel klassische Hausmusik, der Trend zu traditionellen Instrumenten wie Violine, Cello, natürlich Gitarre, Schlagzeug ist nach wie vor vorhanden, aber es werden eben sehr viele Instrumente wie auch Zubehör und Noten im Internet gekauft – und es wird im Allgemeinen leider auch weniger Wert auf Qualität gelegt. Durch die Langlebigkeit der Instrumente wird der Neukauf oft hinausgezögert, Altes repariert, obwohl der Neukauf effizienter wäre.
Und der anonyme Mausklick ist halt für viele einfacher als eine qualifizierte Beratung, die Zeit kostet, aber im Endeffekt natürlich mehr bringt. Und das Ausprobieren vor Ort kann das Internet nicht ersetzen.“
Das Haus in der Onkel-Tom-Straße macht zu. Als einen Grund geben Sie die wachsende Online-Konkurrenz an. Einen Online-Shop hat Musik-Oehme allerdings nicht. Warum nicht?
Horn: „Wir haben seit den Anfängen des Internets einen Online-Shop geführt und dafür eine weitere Firma, Mail Order Music, ins Leben gerufen – mit separatem Geschäft, eigenem Personal, Lager usw. Leider ist die Konkurrenz übermächtig und der Aufwand steht in keinem Verhältnis zum Ertrag. Daher haben wir das Anfang diesen Jahres aufgegeben. Unter dieser Problematik hat die gesamte Musikbranche zu leiden, viele Kollegen geben ganz auf.“
Für die Kunden in der Onkel-Tom-Straße haben Sie kurzfristig einen Lieferservice für Bestellungen eingerichtet. Wird er auch langfristig für die Zehlendorfer zur Verfügung stehen – oder müssen sie sich nach Potsdam bemühen?
Horn: „Wir werden sehen, wie sich das entwickelt, wir senden die Sachen gern zu oder liefern auch nach Haus, wenn’s ganz schnell gehen muss. Und Potsdam ist ja nah dran, von Zehlendorf-Mitte ist man in ca. 20 Minuten mit dem Auto in der Potsdamer Innenstadt. Parkplätze haben wir auf dem Hof, ganz wie in Zehlendorf.“
Info: Musik-Oehme Potsdam, Jägerstraße 8, 14467 Potsdam, Tel.: 0331-6256836, www.musik-oehme.de
Dieser Artikel wurde in „ZEHLENDORF.aktuell“ Ausgabe 53 (8/2018) veröffentlicht.
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