Scheibes Kolumne: Verrückte Begegnungen
Letztens steh ich mit dem Auto an der roten Ampel und warte, dass es grün wird. Neben mir ist die Bushaltestelle mit all den pubertierenen Teenagern, die nach der Schule nach Hause wollen. Plötzlich donnert energisch eine kleine Faust gegen das Fenster meiner Beifahrertür. Ich kurbele das Fenster runter und erwarte, einen renitenten Teenager vor mir zu haben, der vielleicht die Farbe meines Autos doof findet.
Stattdessen steht eine kleine Omi mit einer viel zu großen Tasche vor dem Auto.
Sie sagt energisch: „Ich habe den Bus verpasst. Gleich beginnt mein Schwimmkurs. Sie müssen mich mitnehmen.“
Ich fühle mich überrumpelt, sehe die Ampel auf Grün umspringen und sage: „Dann hüpfen Sie mal rein.“
Schnell springt die Omi in mein Auto, schnallt sich an und dirigiert mich um die Ecke: „Ich hoffe, Sie müssen auch in die Richtung.“
Muss ich, aber nicht so weit. Sie muss zum Katharinenhof, da gibt es anscheinend auch ein Schwimmbecken. Das ist noch ein kleines Stück weiter, als ich fahren muss. Aber ich habe es nicht eilig und bringe sie deswegen bis zur Haustür.
Unterwegs sage ich, dass sie ja ganz schön mutig sei, einfach so in ein fremdes Auto zu springen. Ich könnte ja auch ein Serienkiller sein. Sie sagt: „Ich bin 82 Jahre alt und komme nur sehr ungern zu spät. Was sollte ich denn machen?“
Letztens war ich noch mal eben auf einen Sprung im Supermarkt meines Vertrauens. Da es spontan war, hatte ich keine Einkaufskiste dabei und auch keine Taschen. Also hab ich mir eine Papiertüte gekauft und sie bis oben hin mit meinen Einkäufen vollgestopft.
Auf dem Weg nach draußen muss man durch eine Drehtür gehen. Die bewegt sich nur sehr langsam. Und berührt man die Wände, dann bleibt die Drehtür ganz stehen und läuft nur zögerlich wieder an. Meine Einkaufstüte war schwer und unhandlich. Also trug ich sie wie ein Kind vor dem Bauch und hielt sie mit beiden Armen fest. Mit mehreren anderen Einkaufskunden tippelte ich durch die Drehtür, als plötzlich die Frau neben mir schnaufte: „Also wirklich.“
Ich schaute zur Seite und blickte in das mürrische Gesicht einer mittelalten Frau, der man die schlechte Laune förmlich ansah. Wahrscheinlich dachte sie als Kind, zur Prinzessin bestimmt zu sein, und wurde zu früh vom Leben wieder auf Kurs gebracht.
Ich beugte mich vor: „Ja, bitte?“
„Sie haben mich jetzt mit ihrer Einkaufstüte drei Mal angerempelt. Passen Sie doch auf.“
Ich war mir ziemlich sicher, dass ich die Dame nicht angerempelt hatte. Aber mir ging diese typisch deutsche Unfreundlichkeit auf den Keks.
Und gerade, als sich die Drehtür in die Freiheit öffnete, schaute ich ihr tief in die Augen und sagte: „In Wirklichkeit haben doch Sie mich berührt, weil sie mich so unfassbar sexy finden.“ Und mit diesen Worten schlenderte ich zu meinem Wagen.
Letztens hatte ich Hunger auf eine gute, alte Currywurst. Beswingt lief ich in Berlin an einem U-Bahnhof auf eine kleine Currywurstbude zu. Schon von weitem sah ich an einem der Stehtische eine recht verwahrloste Gestalt. Die Haare hingen fettig vom Kopf, der Bart wuchs wild in alle Richtungen, die Kleidung hatte schon seit Monaten keine Waschmaschine mehr gesehen. Aber anscheinend war Geld da, denn vor dem Mann stand eine Schale mit Currywurst und Pommes. Daneben eine Flasche Bier.
Der mir völlig fremde Mann schaute hoch, sah mich, richtete sich sofort freudig auf und winkte mir zu. Dann löste er sich auch schon vom Tisch und wankte mir winkend entgegen.
Als er vor mir stand, klopfte er mir freundlich auf die Schulter und flüsterte mir im Brustton der Überzeugung zu: „Der Berliner Bürgermeister nimmt uns allen das Geld weg. Du musst etwas unternehmen.“
Ich hielt mitten in der Bewegung an und machte sogar wieder einen Schritt rückwärts, um etwas Abstand zu gewinnen. „Ich? Warum denn ich?“
Der fremde Mann kam wieder näher, zu nah: „Na, das ist doch dein Bruder. Wenn einer das stoppen kann, dann nur du.“ (Carsten Scheibe, Foto: Tanja M. Marotzke)
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