Scheibes Kolumne: Einkaufen war ja früher entspannter
Früher war Einkaufen ja ganz einfach. Einkaufszettel in die Hand nehmen, Artikel in den Korb legen, an der Kasse bezahlen, ab nach Hause! Das war einmal. Heute mutet ein Besuch im Supermarkt an wie eine organisierte Beschäftigungstherapie für chronisch Unterforderte mit angeschlossener Ergotherapie und inkludiertem Intelligenztest.
Das beginnt bereits in der Brötchenabteilung. Die industriell gefertigten Teig-Imitate werden in kleinen Glasterrarien gehalten. Um ein Brötchen in die Freiheit einer bereitgelegten Tüte zu entlassen, muss allerdings eine spezielle Kneifzange eingesetzt werden, die meist verschwunden ist, sodass man doch mit den eigenen verkeimten Händen ins Brötchenbecken greifen muss. Leider lässt sich die Frontscheibe immer nur im spitzen Winkel öffnen. Leicht bleibt die Hand, ums Brötchen geschlungen, in dieser Vorrichtung gefangen. Hilfe! Während andere Einkäufer ob dieser Hygienesünde leise brummelnd Mißmut zum Ausdruck bringen, opfert sich eine herbeieilende Brötchenfachkraft und setzt zur Befreiung mit anschließender Belehrung an.
In der Obstabteilung wird es nicht besser. Was in den Tüten landet, muss anschließend ausgewogen und selbst etikettiert werden. Eine Bild-Symbol-Leiste wie für Dreijährige bietet auf einer Etikettiermaschine Äpfel, Bananen, Möhren und Kohl zum Antippen an, aufdass das entsprechende Etikett aus der Maschine schießt. Nur – wo finden sich Pfifferlinge, Artischocken und Bohnen auf der Maschinenansicht? Wie bei diesen Spielgeräten für Kleinkinder, die die Intelligenz fördern, muss der Kunde selbst herausfinden, in welchem Untermenü das gewünschte Obst- & Gemüsebild zu finden ist.
Früher gab es ja einen Scanner, der aus jedem aufgelegten Weißkohl sofort eine Honigmelone gemacht hat. Heute muss man eine Suche starten und die ersten Buchstaben des gewünschten Artikels eingeben. Wenn der Kunde schon lange der Rechtschreibung abgeschworen hat und verzweifelt nach einem „Firsich“ sucht, kann die Recherche schon einmal so lange dauern, dass eine ungeduldige Großmutter dem Probanten ohne Vorwarnung ihren Gehstock in den unteren Rücken donnert. Als milde Aufforderung, doch bitte von der begehrten Wiegemaschine Abstand zu nehmen.
Gut, dann geht es eben weiter zur Leergut-Annahme. Anstatt freundlich lächelnder Mitarbeiter, die in Sekunden das Leergut auszählen, gibt es nun gewaltige Maschinen, die aussehen wie Onkel Dagoberts Geldspeicher. Sie nehmen in quälender Langsamkeit die leeren Flaschen entgegen und belasten das Lebenszeitkonto des Einkaufenden mit per Zufallsgenerator ausgeworfenen Fehlercode-Floskeln: „Flasche mit dem Boden nach vorne einlegen“, „Diese Marke wird nicht unterstützt“ oder „Bitte Flasche langsam einlegen“. Ich warte auf die Frage auf dem kleinen Display: „Wer von uns beiden ist denn nun die Flasche?“
Auf dem Weg zur Kasse müssen noch diverse Couponscheine an den Regalen eingesammelt werden. Nur mit ihnen bekommt man bei sechs eingekauften Dosen Ravioli ein in Fernost gefertigtes Gratis-Kuscheltier, das bereits im Laden so viel Chemie ausdünstet, dass alle Fliegen im weiten Umkreis sofort orientierungslos in den Kamikaze-Todesflug übergehen.
An der Kasse wird‘s dann hektisch. Während die Kassiererin mit gefühlt acht Armen wie eine Krake den Einkauf durch den Scanner zieht, sortiere ich den Pfandbon, den Payback-Punkte-Multiplizierer-Bon und die Aktions-Coupons zu einem handlichen Stapel, den ich am Ende feierlich überreiche. Treuemarken? Aber gerne. Ich vermisse ja die schönen Tage aus Kinderzeiten, als ich noch Fußballbilder in Sammelalben pappen durfte. Diese schönen Zeiten kann ich nun nostalgisch wiederaufleben lassen, indem ich Treuemarken in Heftchen klebe, die ich doch nie gegen die versprochenen Geschenke eintausche. (Carsten Scheibe)
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