Scheibes Kolumne: Und es hat Bzzz gemacht!
Mitternacht. Im Schlafzimmer von Alexander und Petra ist das Fenster weit geöffnet. Die Hitze des Sommers muss raus aus dem Haus – und die erfrischende Kühle der Nacht soll herein.
0:02 Uhr. Alexander öffnet ein Auge. Hat sein Ohr da nicht beim Einschlummern etwas vernommen? Ein leises Bzzzz? Als würde ein winziger Zahnarztbohrer durch die Luft schwirren? Egal. Alexander macht das Auge wieder zu.
0.10 Uhr. Petra rüttelt Alexander wach: „Du, da ist eine Mücke im Zimmer.“
Alexander nickt ins Kissen hinein: „Hmm“. Das wusste er ja schon.
Petra piekst ihn in die Seite: „Du musst sie fangen.“
Alexander nickt. Er würde gern liegen bleiben. Bei einer Mücke stehen die Chancen ja nicht schlecht, dass nur sie gestochen wird und er nicht. 50:50. Einfache Mathematik. Langsam dämmert er wieder in den Schlaf hinweg.
Petra piekst stärker: „Solange die Mücke hier rumfliegt, kann ich nicht schlafen.“ Was sie nicht laut sagt: „Wenn ich nicht schlafen kann, wirst du es auch nicht.“
Bzzzzz macht es direkt an Alexanders Ohr. Er schlägt mit der Hand zu und verpasst sich nur selbst eine Watsche. Das Bzzzz! verschwindet wütend klingend in Richtung Petra. Die schreit und reißt Alexander die Decke weg: „Tu was. Sie wollte mich gerade stechen.“
Alexander steht auf und tritt mit dem nackten Fuß in etwas Spitzes. „Mach mal Licht an“, brummelt er und schnappt sich ein Kissen. Die Augen müssen sich noch an das Licht gewöhnen, aber Alexander scannt bereits die weißen Wände ab. Er sucht nach dem kleinen schwarzen Strich einer ruhenden Mücke. Er findet einen und drückt sanft das Kissen dagegen. Die Mücke soll friedlich ins Licht gehen, aber nicht die ganze Tapete vollschmaddern. Alexander legt sich grunzend wieder ins Bett: Job erledigt. Schlafen. Petra macht das Licht aus.
1.19 Uhr. Eine Mücke fliegt Alexander genau ins Ohr. Der Krach ist gewaltig. Als würde ein unsichtbarer Zahnarzt versuchen, eine Wurzelextraktion in seinem Gehörgang vorzunehmen. Freihändig. Und betrunken. Alexander klatscht sich einmal mehr schlaftrunken mit der Hand ins Gesicht, springt aus dem Bett, verwickelt sich in der Bettdecke und schlägt der Länge nach hin. Dieses Mal landet er mit dem Gesicht in etwas Spitzem. Alexander richtet sich auf, die Augen zu Schlitzen zusammengedrückt. Jetzt wird es persönlich. Er schaltet die Nachttischlampe ein. Petra schnarcht ganz leise. Sie ist komplett unter ihrer Decke verschwunden. Alexander schaut sich seinen Arm an. Sechs langsam anschwellende Mückenstiche zeugen vom Erfolg der Blutsauger.
An der Zimmerwand ein Strich neben dem anderen. Mist, er hätte vorhin doch lieber das Fenster schließen sollen. Mit voller Wucht knallt Alexander das Kissen an die Wand. Mückenkörper zerplatzen, frisch gesaugtes Blut färbt die Tapete rot. Scheiß drauf, denkt sich Alexander. Jetzt ist keine Zeit mehr für nette Gesten, jetzt herrscht Krieg. Alexander richtet ein Massaker an.
1:46 Uhr. Alexander liegt im Bett – und lauscht. Er hat das Gefühl, sein Ohr ist riesengroß. Mit jeder Faser seines Körpers lauscht er. Er hat ein Supergehör entwickelt, das weit über die Grenzen der Nachbarschaft hinausgeht. Fast glaubt er, den Herzschlag des Spatzen zu hören, der in der Birke im Garten schläft. Mit seinem Ohr-Radar scannt er das Schlafzimmer wie eine Fledermaus mit ihrem Sonar. Das Fenster ist zu. Gibt es noch einen Überlebenden der blutigen Schlacht von Mordor? Haben die Guten endlich gewonnen?
2:56 Uhr: Alexander schläft endlich ein. Es ist ein unruhiger wirrer Schlaf. Er träumt von einer gewaltigen Mücke, die ihn mit einem Schluck aussaugt.
4:45 Uhr: Bzzzz!!!
(Carsten Scheibe, Foto: Tanja M. Marotzke)
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