Scheibes Kolumne: Dreck tut uns richtig gut!
Ich erinnere mich an meinen letzten Urlaub. Vor einer Runde auf dem Golfplatz reichte mir mein Flightpartner ein kleines Fläschchen Sterilium – zum Desinfizieren der Hände oder der Schlägergriffe, genau weiß ich das gar nicht mehr. Ich weiß nur, dass ich mich kopfkratzend wunderte: Wozu?
Zurück in Deutschland wundert mich inzwischen gar nichts mehr. Im Supermarkt kann ich jede Menge Reinigungsmittel kaufen, die als Bonus eine bakterizide Wirkung zeigen und die 99 Prozent aller Bakterien auf den Arbeitsflächen in der Küche abtöten sollen. Und wieder frage ich mich: Warum denn eigentlich?
Damit dieser unheilvolle Trend nicht vollends um sich greift, muss man der neuen deutschen „Bakterien-Angst“ ein wenig entgegenwirken.
Man stelle sich den eigenen Körper als Planeten vor. Auf diesem Planeten leben Milliarden und Abermilliarden von Bakterien. Dabei handelt es sich um einzellige Organismen, die sich in der perfekten Umgebung alle 20 Minuten teilen und somit verdoppeln können. Diese Bakterien ernähren sich von unserem Schweiß, von abgestorbenen Hautfetzen und vom abgesonderten Talg. In der Regel sind es harmlose Milchsäurebakterien, die wir zuhauf mit uns tragen und dabei auch in der ganzen Umgebung verteilen. Sie erzeugen mit ihren Ausscheidungen ein saures Klima auf der Haut.
Und das ist gut so, denn dieses saure Klima hindert andere schädliche Bakterien daran, sich ebenfalls auf unserer Haut einzunisten. Wo schon jemand die Wohnung besetzt, kann kein anderer einziehen. Wer nun aber mit Bakterien-tötenden Substanzen den lebendigen Film von der Haut abspült, richtet nicht nur ein Massaker an. Sondern sorgt auch dafür, dass nun vielleicht nicht mehr die „guten“ Bakterien die freigewordene Wohnung auf dem Planeten Mensch beziehen, sondern die „bösen“. So kann man sich seine Hautprobleme auch selbst heranzüchten.
Bakterien sind einfach überall, das muss man wissen. Die Computer-Tastatur ist dabei verseuchter als jedes Klo. Der eigene Mund ist eine der gefährlichsten Bakterienschleudern im Universum, weswegen Menschenbisse äußerst gefährlich sind, weil sie böse Infektionen auslösen können.
Lohnt sich das regelmäßige Händewaschen denn noch? Ja – mit Bedacht. Wer im Krankenhaus war, spült so hoffentlich rechtzeitig Antibiotika-resistente Krankheitskeime von seinen Fingern. Und wer die öffentlichen Verkehrsmittel benutzt hat, hat sich über den schwitzigen Schmierfilm auf den Haltegriffen vielleicht ein paar Viren eingefangen, die entfernt werden sollten, bevor sie doch noch den Zugang in unseren Körper finden können.
Darüber hinaus ist unser Umgang mit Dreck nur eins – gut. Man denke an den eigenen Hund. Der springt beherzt in jeden Dreckgraben, trinkt aus der Straßenpfütze, frisst Unsägliches, was er im Wald findet, und schlabbert jeden Besucher in der Wohnung hemmungslos ab. Wird der Hund krank durch seine täglichen Kontakte mit Milliarden neuer Bakterien? Nur höchst selten. Stattdessen fordert er sein Immunsystem und sorgt dafür, dass es „in Schuss“ bleibt. Studien zeigen, dass Kinder deutlich selterer krank werden, wenn sie zusammen mit Haustieren wie Katzen oder Hunden aufwachsen: Der ständige Kontakt mit fremden Bakterien ist gut und hält die Abwehrmechanismen auf Trab.
Vielleicht sollte man sich selbst wieder ein wenig „umerziehen“ – weg von einer übertriebenen Hygiene und hin zu einem gesunden Miteinander mit unseren kleinen Freunden, den Bakterien. Und dann sollte man mal wieder mit beiden Händen im Matsch wühlen, einen Apfel aus dem Garten ungewaschen in den Mund stecken, alle bakteriziden Seifen in den Mülleimer werfen und dem lebenden Schutzwall auf der Haut ein langes Leben schenken, indem man ihn nicht ständig wegschrubbt. (Text: C. Scheibe)
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