Scheibes Kolumne: Jetzt wird Zensur geübt!
Das ist ein Ding. Löscht man einen Facebook-Post, weil in den Kommentaren offen zur Gewalt aufgerufen wird, oder verweigert man einem Thema seinen Platz im Heft, dann heißt es schnell „Zensur!“. Eine Zensur liegt aber nur dann vor, wenn die Regierung der Zeitung verbietet, bestimmte Themen anzuschneiden – und ansonsten mit einem Urlaub im Kerker oder dem Entfernen von Körperteilen droht.
Das findet bei uns nicht statt. Im Gegenteil: Der Presserat achtet auf die Medien und passt auf, dass die es in Sachen Gewalt nicht zu dolle treiben.
Was wir also in den Zeitungen betreiben, ist eher eine Art Selbstbeschränkung. Wir wagen den Ritt auf der Rasierklinge, um es möglichst allen Lesern recht zu machen – in der Hoffnung, uns dabei nicht gleich noch die Testikel mit abzuschneiden, weil wir zu weichgespült daherkommen.
Das beginnt mit diesem neumodischen Gender-Wahnsinn. Alles muss plötzlich sowohl eine weibliche als auch eine männliche Form bekommen. Da spricht man nicht mehr Platz sparend den neutralen „Leser“ an, sondern richtet sich lieber zeilenschindend an die „lieben Leser und Leserinnen“. Oder an die „Leser*in“. Natürlich möchte niemand mehr in die Zeit zurück, als vor dem Golf-Club das Schild „Frauen und Hunde müssen leider draußen bleiben“ aufgestellt war. Aber man kann auch alles übertreiben.
Übrigens wird auch das zunehmend im Journalismus vermieden – ein freches Anecken. Einen Spruch wie der mit dem Golfplatz-Schild kann man sich in der modernen Medienwelt gar nicht mehr leisten. Die Sprache des Journalisten soll möglichst wohlgefällig und uniform sein – wie ein weichgespülter Whisky ohne Kanten und Ecken, der allen schmeckt. Aber eben nicht so richtig. Wo sind die Zeiten hin, in denen Maxim Biller in der wilden Illustrierten TEMPO jeden Monat seine „100 Zeilen Hass“ verbreitete und verbal auf alles eindrosch, was sich ihm gerade in den Weg stellte? Der hat sich noch was getraut, der Mann!
Auch die im Vergleich zu mir deutlich jüngeren Kolleginnen im Büro üben ihren Einfluß aus und sorgen für eine „Zensur“ der Sprache. Sie kennen nämlich einige Begriffe nicht mehr, die ich in meinen Artikeln verwende. Beim Korrekturlesen der Texte kringeln sie mir dann Worte wie „dräut“, „aus dem Effeff“ oder „dünkt“ ein. Davon haben sie noch nie gehört, es würde im „jungen“ Sprachjargon nicht mehr vorkommen. Wie schade. Es klingt doch so lyrisch: „Mich dünkt, es dräut der Morgen“. Jeden Monat übrigens, immer zum Redaktionsschluß hin. „Dräuen“ ist nämlich die poetische Variante von „drohen“. Und wenn der letzte Morgen vor dem Druck anbricht, dann bricht uns immer der kalte Schweiß aus.
Auch die Leser würden gern unsere Texte „zensieren“. Verfasse ich einen Text über Hunde, schreiben die Katzenfreunde, dass Hunde nur strunzdoofe Aggressoren sind, die viel zu oft Löcher in ihre friedliebenden Katzen beißen. Schreibe ich über Katzen, melden sich die Hundebesitzer und fordern, dass die Berichterstattung über die steuerbefreiten Vogel-mordenden Freigänger sofort aufzuhören habe.
Auch über Politik darf ich nicht schreiben. Interviewe ich jemanden von der SPD, dann jaulen die Anhänger der CDU. Am Ende wollen sie alle gehört und gleichberechtigt veröffentlicht werden, auch die politische Gesellschaft zum Schutz des bedrohten Juchtenkäfers. Und ja, den gibt es wirklich, wie alle Verfechter der Falkenseer Nordumfahrung feststellen mussten.
Am besten folgt man der PRIL-Regel und schreibt nie über „Politik“, „Religion“, „Intelligenz“ oder die „Liebe“. Wir fügen noch das „F“ hinzu – für „Flüchtlinge“. Hier greift bei uns die stärkste Eigenzensur seit Jahrzehnten. Denn das Thema spaltet die Leserschaft sofort in verbal eskalierende HB-Männchen, die zwischen Lügenpresse und Nazi-Wahn keine Mitte mehr finden können.
Die „Zensur“, der ich mich beuge, kommt übrigens aus der eigenen Familie. Wenn die beste aller Ehefrauen damit droht, dass ich fortan im kalten Schuppen nächtigen muss, wenn sie auch nur noch ein einziges Mal in einer Glosse erwähnt wird, dann folgt man dieser „Bitte“ lieber. (Text: C. Scheibe)
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