Scheibes Kolumne: An der Supermarktkasse
Einmal in der Woche erledige ich den Wocheneinkauf für die ganze Familie. Dafür fahre ich immer treu in einen der großen Supermärkte in der Umgebung, die noch ein langes Kassenband haben – und keins, das Panik auslösend gleich hinter dem Scanner zuende ist. Inzwischen war ich so viele Samstage vor Ort, dass ich eigentlich jede Kassiererin beim Vornamen kenne.
Da gibt es welche, die sind immer schnell und zugleich auch freundlich. Zeit ist Geld, also wähle ich am liebsten mit Bedacht eine Dame aus, die in meinem Kopf einen Sonderpunkt für Tempo hat. Dabei ist es mir egal, ob vorher noch ein paar andere Wagen in der Schlange stehen. Ein No-Go sind nur Familien mit kleinen Kindern. Da gibt es immer wieder endlose Diskussionen, ob denn nun noch kurz vor dem Bezahlen ein Eis gekauft werden soll. Sorry, aber betagte Großmütter meide ich ebenfalls. Sie kennen oft die Segnungen der EC-Karte noch nicht und neigen dazu, die auf der Kasse stehende Summe in mühsam aufgestapelten Cent-Türmchen zu begleichen.
Kasse 4 meide ich aus anderen Gründen: Da gibt der EC-Karten-Scanner zunehmend seinen Geist auf. Wenn er dann zum zehnten Mal meine EC-Karte nicht lesen kann, schauen alle anderen in der Schlange bereits, als sei ich ein mittelloser Schlucker. Und dann muss man wie ein kleiner Junge nicht zum Direktor, aber zum Infoschalter am Eingang, um dort seine Schulden zu begleichen. Au weia.
Habe ich die richtige Kasse ausgemacht und endlich einen halben Meter freies Förderband vor mir, so werde ich zum Weltmeister des Stapelns. Denn ich muss unbedingt alles auf dem Band haben, bevor die Kassiererin den allerersten Artikel einscannt. Ansonsten stapelt sich das ganze Zeug bereits am Ende des Bandes, bis ich zum Einpacken komme – und das kann ich nicht haben.
Also baue ich Türmchen. Unten die Kartoffelsäcke als Basis, dann Wurstpakete, den Toast, ein paar Maisbüchsen, oben drauf dann ganz wackelig die Marmeladengläser. Da ist es immer wieder eine echte Herausforderung, ob diese Wackelkonstrukte heil beim Scanner ankommen. Für die Dame am Scanner ist der Abbau der Türmchen nun so etwas wie Jenga mit Mikado-Elementen. Das gibt mir die Zeit, Kiste und Korb aufzubauen, um für das anstehende Match aller Matche gewappnet zu sein.
Denn für mich ist es ein besonderer Spaß, „Wer ist schneller?“ zu spielen. Dabei muss ich alle gescannten Waren schneller in meinen Kisten und Körben verstauen als die Kassierein nachlegen kann. Ein wissender Blick, ein Funkeln in ihren Augen, wir verstehen uns. Sie pustet noch einmal über den Handscanner, dann kann das Spiel beginnen.
Nicht immer spielt die Dame fair: „Sie haben vergessen, die Apfelsinen abzuwiegen“, sagt sie zischelnd. Ich schüttele langsam den Kopf, die Augen zu schmalen Schlitzen zusammengedrückt. Schade, ein rauchender Zigarillo im Mundwinkel fehlt noch, um den Clint Eastwood raushängen zu lassen. „Nein, das sind Grapefruits. Die werden einzeln verkauft – zum Festpreis.“ Ertappt blättert sie in ihrer Code-Übersicht, um die Grapefruit zu finden. Bis sie den Code hat, hab ich meinen Rückstand beim Einpacken wieder aufgeholt.
Aber sie ist eine schlechte Verliererin: „Das hier sind Nektarinen und keine Pfirsiche. Die müssen sie wohl noch mal abwiegen.“ Mist, verloren. Als ich endlich wieder zur Kasse zurückkomme, stapeln sich Tomaten, Klopapier, Pepsi-Max-Sixpack und Nudelpakete zu einer amorphen Masse. Dabei kosten die Nektarinen auf den Cent genau so viel Geld wie die Pfirsiche. „Muss alles seine Ordnung haben“, sagt sie und sägt eine neue Kerbe ins Förderband. Wieder einen Sieg mehr!
Ich fühle mich deprimiert und nehme einen dicken Streifen Treuepunkte entgegen. Wenigstens kann ich die bald gegen eine neue Bratpfanne eintauschen. Dass Einkaufen doch noch so ein großes Abenteuer sein kann. (Carsten Scheibe / Foto: privat)
Seitenabrufe seit 6.01.2016:
Anzeige
Sie haben eine Artikelidee oder würden gern eine Anzeige buchen? Melden Sie sich unter 03322-5008-0 oder schreiben eine Mail an info@zehlendorfaktuell.de.