Scheibes Kolumne: Immer die richtige Musik
Ich kann nicht Gitarre spielen, kein Klavier bedienen, nicht mal in die Blockflöte blasen. In dieser Beziehung bin ich eine echte Musiknulpe ohne jede Begabung. Aber: In meinem Leben war es immer von höchster Bedeutung, welche Musik man hört. Das fing in den Achtzigern im Teenager-Alter an. Jürgen Jürgens lud im Berliner Radiosender SFB 2 zur wöchentlichen „Hey Music“ Sendung ein.
Und wir versuchten verzweifelt mit dem Zeigefinger auf der Pause-Taste, die neuesten Songs so mitzuschneiden, dass wir kein Gequatsche im Intro hatten.
Verwendet wurden dabei sauteure Chromdioxid-Kassetten, die später auf dem Sony Walkman gehört wurden, bis ein Wackelkontakt in der Kopfhörerbuchse dem Spaß ein jähes Ende machte.
Damals musste man unbedingt das Weiße Album von den Beatles besitzen. Ich hörte aber lieber die 3 LPs der „Decade“ mit den besten Songs von Neil Young. Die „New Romance“ machte damals die Runde. Depeche Mode, Spandau Ballet und Simple Minds hörte bald jeder. Wir entdeckten auf einer Reise nach London im heiligen Virgin-Store aber die echten Geheimperlen wie BlancMange, Heaven 17, New Order oder Spear of Destiny.
Seit damals steht für mich fest: Musik muss Klasse haben. Es darf nicht zu einem ohne Seele runtergerödeltem Fahrstuhl-Muzak verkommen. Schlagermusik geht einfach nicht. Dieter Bohlen geht nicht. Die ganzen Pop-Sternchen – ein Grausen ist das.
In den letzten Jahrzehnten habe ich meine LPs und Singles gegen CDs eingetauscht. Inzwischen verwalte ich knapp 2.000 Alben rein digital auf der Festplatte. Und ich höre noch immer keine einzelnen Songs, sondern entscheide mich bewusst für ganze Alben, die ich dann in einem Stück von vorne bis hinten höre – gern auch mehrmals nacheinander.
An die Stelle der neuen Romantiker sind bei mir nun allerdings die Depri-Damen und die Blues-Ikonen getreten. Und so kann ich nun abwechselnd Katzenjammer und Seasick Steve genießen. Aber wenn Visage, die Waterboys, Mark Knopfler oder die Eels ein neues Album auf den Markt werfen, dann bin ich auch sofort wieder mit an Bord.
Es ist erstaunlich, wie sehr man sich an manche Platten gewöhnt hat. Alan Parsons „Turn of a friendly Card“ und Pink Floyds „Wish you were here“ waren damals die angesagten Platten auf den ersten Schulparties, wenn eng getanzt werden sollte. Und hatte man dann ein Mädchen auf der Bude, sorgte das 14 Minuten lange Stück „Telegraph Road“ von den Dire Straits für die richtige Stimmung. Bei einem Dire Straits Konzert ist mir übrigens in der inzwischen abgerissenen Deutschlandhalle mal ein Mädchen ohnmächtig in die Arme gefallen. Das macht mir die Dire Straits nur noch sympathischer. Gerade läuft übrigens das Best of von Simon & Garfunkel. Das kann man nicht oft hören, aber einmal im Jahr schockiert es einen, wie gut die beiden Musiker waren.
Inzwischen ist es mit mir so weit gekommen, dass ich gar keine Lust mehr habe, mich mit Musik abzugeben, die mir eher Ohrenschmerzen bereitet als Freude. So habe ich in meiner Sammlung knapp 120 meiner absoluten Lieblingssongs markiert und sie auf einen USB-Stick kopiert. Hier habe ich nun „All This Love“ von Angus & Julia Stone, „Cajun Moon“ von Eric Clapton, „Die Wilde 13“ von Fehlfarben, „Face of Danger“ von Morcheeba und „Never Knew Your Name“ von Madness gebunkert. Im Auto bleibt das Radio aus, die ewig gleichen Charts tue ich mir nicht mehr an. Stattdessen läuft mein Mix im ewigen Zufallsmodus. Sobald mir einzelne Lieder auf die Nerven gehen, tausche ich sie gegen neue aus.
Beim Arbeiten fällt mir auf, dass ich mir die Musik passend zur Stimmung aussuche. Habe ich keine Lust zum Arbeiten, so hilft mir das Samsara Blues Experiment mit viertelstündigen Gitarrenrückkoppelungen dabei, in eine Schreibtrance zu finden. Habe ich gute Laune und schreibe beflügelt wie eine kreative Elfe mit haarigen Waden, darf George Winston Klavier spielen. Werde ich ängstlich, weil die Deadline immer näherrückt, dann treibt Nick Cave mit seinen „Murder Ballads“ die Mädchen im Büro nebenan in die Depression. Sie würden dann gern freiwillig aus dem Fenster springen. Zu dumm, dass wir ein Kellerbüro haben. (Carsten Scheibe, Foto: Kohn)
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