Scheibes Kolumne: Fahrn, fahrn, fahrn auf der Autobahn!
Rauf auf die Autobahn. Endlich kann ich das Radio voll aufdrehen, das Gaspedal in den Boden stampfen und mich frei fühlen. Wälder und Felder ziehen rechts und links am Autofenster vorbei, die Weite des Landes öffnet den Geist und ich erinnere mich selbst an den einsamen Cowboy, der in den Sonnenuntergang reitet, äh, brettert.
Naja, schön wär‘s. Kaum auf der Autobahn angekommen, wird das Tempo alle paar Minuten rapide gedrosselt. Denn auf einmal geht‘s vom Tempo her runter auf 100, 80 und dann auf 60 km/h. Der Grund: eine Baustelle, die gleich mehrere Spuren blockiert und alle Autos über lange Kilometer hinweg zum Kriechen zwingt, obwohl weit und breit nicht ein einziger Arbeiter auf der Strecke zu sehen ist und die frisch restaurierte Fahrdecke doch schon fix und fertig aussieht.
Kommt endlich einmal eine Freiflugstrecke ohne lästige Geschwindigkeitsbeschränkung, so kriechen die meisten Autofahrer auf der rechten Spur stoisch und unbelehrbar weiter im Schneckentempo dahin. Die mittlere Spur traut sich auch nicht so recht. Dafür wird links nicht mehr gefahren, sondern geflogen. Hier versuchen Testosteron-gesteuerte Deutsche, von der deutschen Tempofreizügigkeit begeisterte Ausländer und Besitzer teurer Sportwagen, das Limit der physikalischen Bodenhaftung komplett auszuhebeln, um bei der nächsten Bodenwelle ungebremst ins Universum abzuheben.
Geb ich dann selbst einmal richtig Gas, um mich links in die Tiefflugschneise einzureihen, so passiert garantiert das: Ein vollbeladener Lastwagen schert mit 82 km/h von der rechten in die mittlere Spur aus, um seinen mit 78 km/h fahrenden Kollegen zu überholen. Derweil fühlt sich ein Opi mit Wohnwagenanhänger herausgefordert und zieht mit 85 km/h auf die linke Spur – wobei der Wohnwagen schon gefährlich hin und her schaukelt. Dieses Dreiergespann wirkt wie ein Korken, der die komplette Autobahn verstopft und alle anderen Autofahrer zum radikalen Bremsen zwingt. Und ich habe mich früher einmal gefragt, wie Staus entstehen können.
Inzwischen gibt es spezielle Blitzer-Apps, die vor den Polizeigeräten warnen, die am Wegesrand auf der Autobahn aufgestellt sind. Ich hab da einmal raufgesehen – und war schockiert. So viele Blitzer! Allein von Berlin bis Österreich sind es gefühlt einige Dutzend. Einmal nicht aufgepasst und schon gibt es Urlaubsfotos der teuren Art. Fies sind die Blitzer, die nicht auf‘s Tempo, sondern auf den Abstand achten. Man weiß, wo diese Blitzer stehen, lässt bewusst einen großen Abstand zum Vormann – und prompt drängelt sich so ein ungeduldiger Hirni in den Zwischenraum. Genau in der richtigen Sekunde: BLITZ.
Also doch lieber mal Pause machen und am Wegesrand anhalten. Versuch doch mal jemand, in einer dieser modernen Pausenstationen pinkeln zu gehen – ohne Kleingeld in der Tasche. Der Automat am Drehkreuz ist unerbittlich und straft jeden Autofahrer, der bereits zitternd die Knie ineinander drückt, mit der totalen Blockade, wenn er keine 50 oder 70 Cent in passenden Münzen zur Hand hat. Dabei hat doch schon die Tankstelle den letzten Euro geschluckt. Denn irgendwie ist das Benzin auf der Autobahn immer doppelt so teuer wie im Rest der Republik.
Was mich am meisten irritiert, ist das Radio. Kaum hat man einen Sender gefunden, der Chill-out und Smooth Jazz spielt, fährt man auch schon wieder an das Ende der Sendeleistung. Brzzz-fump-schnarrrrr – bald übertönen die Frequenzstörgeräusche jede gesungene Note. Also wieder einen neuen Sender suchen. Nach ein paar Stunden auf dem Asphalt ist es langsam egal: Dann sinkt der Kopf auch nicht mehr verzweifelt auf das Lenkrad, wenn plötzlich diese blonde Schlagertante „Atemlos durch die Nacht“ trällert. Denn inzwischen ist die Nacht tatsächlich eingebrochen auf der Autobahn. „I am a lonesome cowboy, far away from home.“ (Carsten Scheibe)
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