Scheibes Kolumne: Mit der U-Bahn unterwegs
Die U-Bahn und ich – wir werden wohl keine Freunde mehr. Dabei hat sie mich in meiner Jugend immer zuverlässig in die Stadt gebracht – zum Kudamm oder wohin auch immer wir damals drängten. Nur mit dem Zurückbringen, da hat sie es nicht mehr ganz so genau genommen. Nach Mitternacht fuhr sie vom Wittenbergplatz ausgehend nicht mehr bis Krumme Lanke durch – und wir mussten ganz schön lange laufen, sobald wir einmal den letzten Zug verpasst hatten.
Wie das heute gehandhabt wird, das weiß ich nicht: Ich fahre nur noch mit dem Auto und meide die Öffentlichen.
Daran sind auch so einige unschöne Begegnungen schuld. Einmal hat man auf mich geschossen. Kurz vor Dahlem Dorf fährt die U-Bahn ja überirdisch – aber deutlich tiefergelegt in einem schräg nach oben hin offenen Schacht. „Oben“ muss tatsächlich jemand auf die Bahn gewartet haben und zwar mit einem Kleinkalibergewehr in der Hand. Plötzlich war erst in der U-Bahn-Fensterscheibe mir gegenüber ein kleines erbsengroßes Loch zu sehen und dann im Lederpolster im Sitz neben mir. Ein Meter weiter – und es hätte mich erwischt.
Einmal war ich allein im Abteil und an der U-Bahnstation Podbielskiallee öffneten sich die Türen: Bestimmt 30 Skinheads in Springerstiefeln und mit hölzernen Baseball-Schlägern stiegen ein. Sie setzten sich ordentlich, nickten mir freundlich zu und sinnierten mehrere Stationen lang ruhig vor sich hin, um dann am Fehrbelliner Platz aufzuspringen und wieder auszusteigen. Ich muss die ganzen Stationen über die Luft angehalten haben, um mich auf diese Weise unsichtbar zu machen. Ich denke aber, die schlimmen Jungs waren auf dem Weg zu einem vorbestimmten Ort, um die Holzschläger in irgendeiner anberaumten Auseinandersetzung einzusetzen. Ein Horror.
Ein anderes Mal kam ich vom Wittenbergplatz und wollte nur noch nach Hause. Das ganze Abteil war voller Herthafrösche. Sie schwenkten blauweiße Fahnen, ließen das Bier zischen und grölten ziemlich angetrunken Fußballlieder. Eine Laune des Schicksals wollte es damals in den Achtzigern, dass ein hübscher, dünner Popper mit Seitenscheitel, buntem Bennetton-Pollunder und Kaschmirschal neben der Tür stand und Musik über seinen Sony Walkman hörte. Der arme Junge wurde ordentlich verarscht und angemacht. Als er dann am Rüdesheimer Platz ausstieg, nahm er seelenruhig den Kopfhörer ab und sagte: „Wenn jemand von euch ein Problem mit mir hat, dann steigt er jetzt mit mir aus.“
Das war mutig, denn nach dem Popper verließen sämtliche Hertha-Frösche geschlossen das Abteil – und folgten dem Schönling auf den Bahnsteig. Er ward nie wieder gesehen…
In den kommenden Jahren habe ich in der U-Bahn so einiges gesehen. Den jungen Manager im teuren Anzug, der ein Bündel Brennnesseln in der Hand hielt und sich damit begeistert über die Wangen strich. Die junge Punkerin, die es schaffte, sich in leuchtend pinken Wogen durch das gesamte Abteil zu übergeben. Das Pärchen, dass sich im Eck für den Geschmack der anderen Fahrgäste ein wenig zu doll lieb hatte.
Wie es heute in der U-Bahn aussieht, kann ich nur ahnen. Besser ist es bestimmt nicht geworden, denn früher gab es noch viele Bahnbedienstete auf den Gleisen, die notfalls als Ansprechpartner zur Verfügung standen.
Ich weiß nur, wie ich die U-Bahn zuletzt auf Reisen in anderen Metropolen wahrgenommen habe. Die klapprige „Tube“ in London sieht in Stoßzeiten zur Rush Hour ein hemmungsloses Stopfen vor, sodass am Ende kein Blatt Papier mehr zwischen die eingepferchten Reisenden passt und man sich mit Fremden näherkommt als mit dem eigenen Partner. Und die Metro in Paris wird auf den Bahnsteigen von Bettlern überrannt, bietet dafür in den Zügen aber ein Unterhaltungsprogramm vom Allerfeinsten – mit singenden, tanzenden und sogar kletternden Kleinkünstlern. (Carsten Scheibe)
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